Kumpel Kastrat

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra"7/04

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Kumpel Kastrat

Zu den Sach- und Lachgeschichten: Es war einmal letzten Winter, da kam ein neuer Kater in die Showhalle, ein Maine Coon mit pechschwarzem Fell. Er legte, wie immer, eine perfekte Show „ganz im amerikanischen Stil“ hin- sprich: Schwanzfähnchen hoch, Kopf würdevoll erhoben und Beine elegant übereinander geschlagen . Ein Raunen ging durch das unbedachte Volk am Bühnenrande.  „Wow, das ist aber ein toller Kater!“ Ein KATER? Vielleicht vom Gehabe her, ja, doch anatomisch gesehen nicht mehr so ganz. Doch da er das nicht weiß, benimmt er sich weiterhin wie „EI Macho“, wie viele seiner kastrierten Artgenossen auch. Es hat also wenig mit zwei kleinen Organen zu tun, ob ein Kater nun Ausdruck hat oder nicht. Diesen Artikel möchte ich den „Onkeln“. unter den Katern widmen...

 

„Was ist denn ein Kastrat?"

... fragte mich unlängst ein kleines Mädchen während unserer Info-Show-Aktion. Erst einmal stand ich recht geplättet da, bis mir die Rettung einfiel: „Na ja, ein Kater, der kann Papa werden. Ein Kastrat nur Onkel" .

Kurzum, ein Kastrat ist eine männliche Katze, welcher durch einen operativen Eingriff die Hoden entfernt wurden. Mittlerweile gibt es aber auch die Möglichkeit der Sterilisation, dann werden lediglich die Samenstränge gekappt, was keinen ganz so großen Eingriff für das Tier bedeutet, und die „guten Stücke" bleiben dann auch erhalten. Dies ist  allerdings wenig sinnvoll, denn so hat man alle Nachteile eines potenten Katers.

Geschichtliches

Der Kastrat ist wohl im Mittelalter schon Teil der Tierwelt gewesen, als ruhigere Alternative für diverse Haustiere. Die Kastrierung von Katern wurde allerdings erst im letzten Jahrhundert weiter verbreitet, als Katzen immer öfter mit ihren Menschen die Wohnung teilten und auch die Rassekatzenzucht begann. Kätzinnen werden rollig und dann zickig oder könnten "versehentlich" trächtig werden, potente Kater haben oft weniger die Menschen, sondern mehr das Vergnügen im Sinn, so hier die Begründungen. Die Duftmarken, die viele potente Kater setzen waren wohl der häufigste Grund, um zu kastrieren. Aber auch der Tierschutzgedanke zu viel an Nachwuchs zu verhindern, hat zu Kastrationen geführt.

Das Äußere

Vielen frühen Kastraten fehlt das imposante Äußere, das ihre voll bestückten Kameraden haben. Das liegt unter anderem an der Produktion des Hormons Testosteron, des männlichen "Geschlechtshormons", wenn man es so nennen will. Die Produktion dieses Hormons findet in den Hoden und in der Nebennierenrinde statt. Viel Testosteron schließt nachweislich die Wachstumsfugen schneller und regt wie ein natürliches Anabolikum das Muskelwachstum an. Des Weiteren greift das Hormon Testosteron noch in gut 30 weitere Wachstumsprozesse in den  männlichen Körper ein. Wird nun also ein Kater kastriert - was zumeist im Alter von eineinhalb bis zwei Jahren erfolgt -, ist dieses Tier bei einigen Rassen noch nicht voll entwickelt. Schon wenige Wochen nach der Kastration beginnt aber der Testosterongehalt im Körper abzunehmen und kann somit nicht mehr beim Wachsen mithelfen.

Der Testosterongehalt eines Katers liegt nur ein Nanogramm pro Millimeter, der eines Kastraten pendelt sich auf das Niveau einer Kätzin ein, was zumeist um die 0,05 oder weniger Nanogramm pro Millimeter beträgt. Dennoch - durch regelmäßiges Spiel- und Tobe-Programm kann auch ein Kastrat gehörige Muskelpakete bilden, genauso wie ein Strahlemann von Kater seine Muskelpracht verlieren kann, wenn er nur als „Sofakissen" herumliegt und sich einen Hängebauch anfrisst.

Juri's Chakotay, Kastrat, aber kein "Sofakissen"

Verhalten

Das Verhaltensmuster eines Kastraten lässt sich zumeist am Zeitpunkt der Kastration festmachen. Wird er früh kastriert, etwa im Alter von einem halben Jahr, so wird er zumeist auch ein „Kindskopf" bleiben, sprich: Außer Spielen und Schmusen hat er nicht viel im Sinn. Dies resultiert daraus, dass ihm für eine weitere Entwicklung seiner Psyche der entsprechende „Hormoncocktail " fehlt.

Aber genau deshalb ist ein früh kastrierter Kater auch ein sehr umgängliches und anpassungswilliges Tier, dessen kindlicher Drang nach Unsinn man im Tausch gegen die  überwiegenden Vorzüge gerne in Kauf nimmt. Ein so früh kastrierter Kater war nie ein Chef, er hat auch noch keine ernst zu nehmenden Rangkämpfe ausgeführt - und war ständig unter der Führung anderer Mitglieder des Haushaltes. Ein sechs Monate alter Kater, der kastriert ist, hat  ja mindestens drei Monate seines kurzen Lebens bei seiner Mutter verbracht, sprich, er ist gar nie groß auf die Idee gekommen, man könnte sich etwas widersetzen! Kater, die kastriert werden, wenn sie schon erwachsen sind, also frühestens mit drei Jahren, verlieren ihr Katerverhalten oft nicht mehr. Dies liegt daran, dass sich dieses Verhaltensmuster so bei ihnen eingeschliffen hat, dass sie es auch ohne den hormonellen Reiz ausführen. So kann es passieren, dass spät kastrierte Kater von rolligen Mädchen gar nicht mehr runterzukriegen sind. Einige Züchter nutzen dies als Alternative zur Pille. Eine Kätzin, die gedeckt aber nicht befruchtet wurde, wird in der Regel die nächsten 8 Wochen nicht rollig. Diese Scheinträchtigkeit macht Katzen meistens keine Probleme, wie man sie z.B. vom Hund her kennt.

Die Vorteile  des „Onkellebens“

Kastraten haben viele Vorteile. Sowohl für sich selbst als auch für ihren Besitzer. Meist sind sie - auch wenn spät kastriert - nicht sonderlich aggressiv und leicht kontrollierbar, man kann mit ihnen also viel leichter und unbeschwerter mal an einer Ausstellung teilnehmen. Ein Kastrat bekommt so durch sein „gesittetes" Verhalten von der Welt oft mehr zu sehen als ein Kater im „hormonellen Overload", den man nicht mehr wagt, aus der Box zu holen.

Aber der wohl schönste Vorteil für den Kastrat wird dieser sein: Er darf! Im Gegensatz zum Kater dann, wann immer ihm und seinen Partnerinnen danach ist. Er muss nicht in einem Katerzimmer wohnen, sondern darf das Leben mit seinen Menschen und Mit-Katzen rund um die Uhr genießen.

Durch ein ausgewogenes Sexualleben werden die Mädchen an sich auch ruhiger und ausgeglichener. Einem Kater ist es also möglich, ein völlig intaktes Sozialleben zu haben - er kann mit anderen Kastraten oder Katern Rangstreitigkeiten ausfechten, er kann Mädchen umwerben und Freundschaften schließen. Sicherlich, raufen und spielen können Kater untereinander auch in so genannten Junggesellengruppen, doch das freie Leben, wie es ein Kastrat genießen kann, bleibt ihnen zumeist verwehrt. Leider leben viele Kater immer noch alleine in separaten Räumen.

fröhliches Kastratenleben in der Familie

Wieso kastriert wird

Sein wir mal ehrlich und nehmen folgende Situation an: Irgendwo in Deutschland kommt ein Kitten zur Welt, ein Katerchen. Schon mit wenigen Stunden zeigt der Kleine alles, worauf der Züchter gehofft hat. Mit einem Jahr hat sich das zerknitterte Mäuschen zu einem prächtigen Jung-Kater entwickelt. Typ tadellos, Charakter ein Traum, hervorragende Abstammung, wohl gute Chancen bei der ersten Ausstellung - würden Sie so ein Tier kastrieren ?

Wenn ja: „Geht's Ihnen noch gut?", würde da der Züchter fragen. Auf keinen Fall wird so ein kleiner zukünftiger Showüberflieger kastriert, da er seine Anlagen ja weitervererben soll. Also, warum wird kastriert? Es gibt vier Gründe :

1. Das Tier ist nicht ganz so rassetypisch wie gewünscht und hätte in der Zucht keine nennenswerten Chancen bzw. würde die erste Hürde auf der Ausstellung, mindestens ein V1,  nicht bestehen.

2. Das Tier hat einen gesundheitlichen Defekt, der eine Kastration sinnvoll macht.

3. Das Tier ist zu aggressiv und katerig und eine Gefahr für alle, die mit ihm umgehen müssen. Es kommt vor, dass manche jungen Kater mit der Rolle des Deckkaters schlichtweg überfordert sind und schwere Verhaltensstörungen und Aggressionen entwickeln. Hier tut man dem Tier dann wirklich einen Gefallen, wenn man es kastriert.

4. Das Tier lebt bei einem Halter ohne Zuchtambitionen, evtl. sogar als Einzeltier. Schon um den Duftmarken zu entkommen, die viele Kater setzen ist hier eine Kastration unumgänglich. Der Hormonstress macht viele Tiere auch krankheitsanfälliger und kratzbürstiger.

Eignung zur Show

Natürlich kann man mit einem Kastraten alle Titel machen, die man mit einem Kater auch erringen kann.

Es gibt hierbei  keine Einschränkungen. Ein kleines P im Titel zeigt an, dass er von einem Kastraten errungen wurde

Ringrichten oder traditionell, Kastraten können alle Titel erringen

 

Fazit

Der Kastrat lässt sich also als das „umgängliche und unkomplizierte Es" unter den Katzen bezeichnen. Im Verhalten ab und zu noch mal ein wenig katerig, hat dieser „halbe Mann" jedoch nicht mehr die Probleme des „Klickschalters" im Kopf, den manche Kater zu haben scheinen.

Intelligenz wird durch die Kastration nicht beeinflusst – im Gegenteil. Jetzt, wo er nicht ständig die Mädels im Kopf hat, entwickelt mancher ungeahnte Talente zum Therapeut, zum Clown oder zum Streitschlichter.

Kater machen alles für ihren Menschen - bis irgendwo in weiter Ferne ein rolliges Mädchen auftaucht. Dann macht es „Klick" im Kopf, und die Steuerung wird anderen Körperteilen als dem Hirn überlassen . Manche Kater-Besitzer witzeln auch darüber: „Na ja, ein Hirn und zwei Bällchen, ist ja klar, wer da bei der Abstimmung die Mehrheit hat! " Ein Kastrat ist gegen so etwas - sprich weibliche Reize am Horizont - zwar nicht ganz gefeit, aber um einiges beherrschter und somit der weitaus menschenbezogenere Partner, also ein ideales Haustier.