Somali direkt aus Somalia?

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra" 9/00

 

 

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Auf einer Ausstellung wetteifern zwei Züchterinnen: "Meine Maine Coon stammt direkt von einem Bauernhof in Maine" "Und meine Neva Masquarade habe ich direkt von der Neva aus Rußland". Da mischt sich eine dritte Züchterin ein:" Meine Somali stammt direkt aus Somalia" Die beiden anderen fühlen sich nicht ernst genommen und eine erwidert: "Somalis stammen doch gar nicht aus Somalia, sie werden doch nur so genannt". Die andere wird nachdenklich: "Woher nehmen Sie denn Tiere, wenn Sie wieder zu dem Ursprung Ihrer Rasse zurück wollen?" "Warum sollte ich das wollen?" fragt die Somali-Züchterin zurück. Die beiden anderen sind erstaunt: " Das weiß doch nun wirklich jeder! Die Tiere aus dem Ursprungsland sind besonders gut und für eine Erweiterung des Genpools gibt es nichts besseres!" Die Somali-Züchterin fragt noch einmal zurück: "Warum sind Sie da so sicher? Ist das vielleicht nicht wieder so ein Ammenmärchen unter Züchtern?"

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Um die letzte Frage der Somali-Züchterin zu beantworten, muß man zunächst einmal überlegen, wie Rassen überhaupt entstanden sind. Da gibt es zum einen die in der Natur entstandenen Rassen und zum anderen die durch züchterische Aktivitäten entstandenen Rassen. Bei beiden stand am Anfang eine zufällige Mutation bei einem Tier. Mutationen entstehen ständig durch "Kopierfehler" in den Keimzellen, durch natürliche Einflüsse der Umwelt und durch künstliche Umwelteinflüsse, z.B. erhöhte Strahlung, Medikamente usw. Viele Mutationen bewirken, daß sich ein befruchtetes Ei gar nicht lebensfähig entwickeln kann und bleiben daher unbemerkt. Einige Mutationen jedoch bewirken, daß sich ein Tier sogar besonders gut entwickelt und sich später stärker fortpflanzen kann, als seine Artgenossen. So kann sich eine Veränderung der Gene ausbreiten und es entsteht eine neue Rasse. Es gibt auch Mutationen, die zwar eine Veränderung z.B. im Aussehen des Tieres bewirken, aber keinen Vorteil beim Überleben bieten. Sie können sich trotzdem in einer Tierbevölkerung ausbreiten und wenn diese in einem beengten Raum lebt, z. B. auf einer Insel, kann diese Veränderung nach und nach bei allen Tieren beobachtet werden. Auch so entsteht eine neue Rasse. Eine genetische Veränderung kann natürlich in ihrer Ausbreitung auch durch den Menschen gefördert werden, dies ist bei allen Haustieren der Fall.

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Bei der Entstehung einer neuen Rasse steht also auf jeden Fall eine genetische Veränderung bei einem Tier. Ganz selten tritt die selbe Mutation bei mehreren Tieren gleichzeitig auf. Die neue Rasse hat also, da sie meistens nur von einem Tier abstammt, einen eingeschränkten Genpool im Vergleich zur Ursprungs-Rasse. Dies gilt für alle Rassen gleichermaßen, egal ob sie sich in einem kleinen Gebiet natürlich entwickelt hat, oder ob der Mensch durch Zucht für ihre Ausbreitung gesorgt hat. Ein kleiner Genpool bedeutet eine Gefahr für jede Rasse, denn ein kleiner Genpool bedeutet, daß die Tiere auf die selben Krankheitskeime empfindlich reagieren. So sterben viele Rassen schon an ihrem Beginn aus, eine Epidemie genügt, um sie zu vernichten.

Die Natur hat allerdings einen natürlichen Mechanismus entwickelt, der die Entstehung und Ausbreitung von Rassen ermöglicht: die natürliche Erweiterung des Genpools durch Re-Kombination der Gene und durch erneute Mutationen. Aus der genetischen Breite von 10 Tieren wird so eine genetische Breite von ca. 100 Tieren, wenn die Tierbevölkerung auf 1000 Exemplare angegewachsen ist. (siehe Tabelle)

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Dieser Prozess setzt sich kontinuierlich fort, wenn er nicht durch Menschenhand, z.B. ständige Rück- und Geschwisterverpaarungen gestört wird. Auch wenn alle Züchter zu dem selben Kater zum Decken gehen, oder alle aus der selben Linie Zuchttiere kaufen, ist das eine solche gravierende Störung. 

Am Beispiel der Maine Coon möchte ich einmal praktisch das oben genannte durchspielen. Alles was nun folgt gilt aber genauso für viele andere Rassen: 

Die Maine Coon hat sich natürlich entwickelt. Am Anfang standen wenige Tiere. Es ist nicht genau bekannt, ob dies Tiere aus Norwegen waren, die von den Wikingern als Schiffskatzen mitgebracht wurden und dann zunächst verwilderten um sich Jahrhunderte später den Menschen wieder anschlossen um die Farmen von Nagern zu befreien - oder ob es Katzen aus Sibirien waren, die schon vor Jahrtausenden zusammen mit den Menschen über die Landbrücke nach Alaska, diesen Kontinent besiedelten. Die Vorfahren der Maine Coon könnten auch langhaarige Hauskatzen aus Europa sein, die mit den Siedlern vor ca, 200 Jahren dort ankamen.

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Wer auch immer die Vorfahren der Maine Coon waren, am Anfang standen wenige Tiere, also ein kleiner Genpool. Dieser Genpool erweiterte sich auf natürliche Art bis der Mensch auf die Idee kam diese Katzen zu züchten. Ca. 130 Katzen bildeten den Grundstock für die Maine Coon Zucht, ein Genpool der mehr als ausreichend für den Beginn einer Rasse ist. Doch leider starben viele dieser ursprünglichen Linien schnell aus, weil sie nicht genügend Erfolg auf Ausstellungen hatten, oder die Züchter dieser Linien die Zucht aufgaben. Am erfolgreichsten waren die Nachkommen der sogenannten "TOP 5". Fünf Katzen, die heute in fast jedem Maine Coon Stammbaum zu finden sind. Dies war also eine Verengung des Genpools durch den Run der Züchter auf "Mode-Linien".  

Im Laufe von ca. 25 Jahren Maine Coon Zucht hatte der Genpool wieder die Chance sich zu verbreitern durch den natürlichen Prozeß der Re-Kombination und Mutation. Extreme Inzucht, die diesen Prozeß stört, wurde nur von einer kleinen Minderheit betrieben. Die meisten Züchter in Deutschland versuchten in den letzten 10 Jahren durch US-Importe den Genpool der deutschen Maine Coon zu verbreitern. Die dortigen Tiere stammten zwar auch zum größten Teil von den "TOP 5" aber auch dort hatte der natürliche Prozeß den Genpool wieder langsam aber sicher verbreitert. 

Es gab die ganze Zeit weiterhin Maine Coon, die sich unkontrolliert von Züchtern auf den Farmen in Maine und in den Hafenorten vermehren konnten. Seit einigen Jahren werden einige dieser sogenannten Foundation-Tiere in die Zucht genommen in der Annahme, der Genpool würde dadurch wesentlich verbreitert. Dies ist ein Trugschluß, denn die ca. 130 Maine Coon der ersten Stunde entstammten ja genau diesem Genpool. Inzucht-frei sind diese Tiere natürlich auch nicht, denn die Tiere einer Farm sind fast alle miteinander verwandt und paaren sich immer wieder untereinander. Die nächste Farm mit Maine Coon ist weit entfernt und durch Seen und Flüßchen, sowie vielbefahrene Straßen die dazwischen liegen, fast unerreichbar für eine Katze. Auch der Genpool der freilebenden Maine Coon in den Hafenorten wurde immer wieder auf wenige Tiere beschränkt, durch die Kastrationsprogramme, die Tierschützer in den 90er Jahren dort durchführten. Die Maine Coon auf den Farmen und in den Hafenorten, mit denen bisher nicht geplant gezüchtet wurde haben also einen Genpool, der nicht wesentlich breiter oder anders ist, als der Genpool der planmäßig gezüchteten Katzen. Sie sind also in der Hinsicht nicht "selbstverständlich besonders gut", wie manche Züchter meinen.

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Das Beispiel der Maine Coon zeigt, daß eine grundsätzliche Auffrischung und Erweiterung des Genpools nicht am besten durch Tiere aus dem Ursprungsort erreicht werden kann. Es ist viel sinnvoller völlig fremde Rassen aus weit entfernten Gegenden der Erde einzukreuzen. In den meisten Zuchtverbänden ist dies allerdings nicht erlaubt. Bei der Zucht anderer Rassetiere, z.B. in der Pferdezucht, ist es eine gängige Zuchtmethode alle sieben Generationen ein Tier anderer Rasse (bevorzugt Kaltblut) einzukreuzen. Bei dieser Methode ist es natürlich schwierig den Typ der Rasse zu erhalten oder zu verbessern, dazu bedient man sich wieder der Inzucht.  

Der Genpool einer Rasse erweitert sich also ständig auf natürliche Weise, wenn man die Inzucht vermeidet und nicht durch "Mode-Kater" wieder Einschränkungen hervorruft. Die Methode des abwechselnden Outcrossing in andere Rassen und anschließender Inzucht ist ebenfalls geeignet den Genpool aufzufrischen. Viele Rassen haben gar keinen Genpool im Ursrungsland zur Verfügung, Somalikatzen gibt es z.B. nicht in Somalia, sondern nur bei anderen Züchtern. So ist denn auch das Ammenmärchen von den besonders guten und genetisch so andersartigen Foundation-Katzen nur bei den Züchtern der Rassen bekannt, die noch eine Ursprungspopulation zur Verfügung haben. Alle anderen mußten schon immer den steinigen Weg des Outcrossing in andere Rassen gehen wenn Probleme durch einen zu kleinen Genpool auftraten.